Antivilla, Krampnitz bei Potsdam
Brandlhuber+ Emde, Burlon
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Schönheit auf den zweiten Blick
Wenn man die Villa zum ersten Mal sieht, die sich der Architekt Arno Brandlhuber mit seinen Partnern Markus Emde und Thomas Burlon im kleinen Krampnitz bei Potsdam in wunderschöner Seelage erschaffen hat, kann man wohl nicht unauffällig reagieren. Man lässt sich auch nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißen. Denn die Schönheit des zunächst verstörenden rohen Betonbaus erschließt sich erst mit der Zeit. „Es ist eine Schönheit, deren Ursprung in der Idee liegt, die hinter dem minimalinvasiven Umbau steht“, so Brandlhuber+ Emde, Burlon, die gerne Bestandsbauten nachnutzen, für die andere keine Verwendung mehr sehen. Im Fall der aus gutem Grund „Antivilla“ getauften Villa in Krampnitz hat das Büro aus einer ehemaligen DDR-Trikotagenfabrik einen Ort zum Leben und Arbeiten gemacht, der den großen Luxus von räumlichem Überfluss und direkter Seenähe vereint.
Dabei wendet man sich, wie bei anderen Projekten auch, gegen klassisch bürgerliche Wohnkonzepte die dem Leben der Menschen heute nicht mehr entsprechen. Besonderes Gewicht legt das Konzept auf den sinnvollen Einsatz von Energie. Das Einsparen von Energie kann dabei sehr unterschiedliche, oft unerwartete Bereiche betreffen. Die Entscheidung, ein Gebäude, das intakt ist und eine Fläche von 500 m² bietet, nicht abzureißen, erkennt an, dass bereits Energie im Gebäude steckt und man erneut hätte Energie aufwenden müssen, um es abzureißen und ein neues Gebäude zu bauen. In diesem Fall kam hinzu, dass die Fläche für einen Neubau aus baurechtlichen Gründen sehr viel kleiner ausgefallen wäre. Auch für das Dämmen gibt es eine einfache Alternative: Weniger Energie verbrauchen, indem man sich in seinen räumlichen Ansprüchen beschränkt.
So greift die Antivilla ein uraltes, quasi kostenloses Konzept auf, laut dem sich der Lebensraum im Sommer ausdehnt, während er sich mit Kälteeinbruch auf weniger Fläche konzentriert. In der Antivilla lassen sich durch isolierende Vorhänge verschiedene Klimazonen herstellen. Während im Sommer alle Freundinnen und Freunde zu Besuch kommen, zieht sich im Winter ein kleiner Nutzerkreis auf einen Raum von ca. 75 m² zurück. Möglich wird dieses Konzept auch durch die Konzentration aller wichtigen Funktionen im zentralen Betonkern: der Teil der im Winter wärmsten Klimazone. Hier befindet sich neben Küchenzeile und Nasszelle auch eine Sauna, die gleichzeitig als Wärmequelle funktioniert.
Für Brandlhuber+ Emde, Burlon, ein Büro das gerne Bestandsbauten nachnutzt für die andere keine Verwendung mehr sehen, geht es als erstes immer darum, was ein Bau kann. Nicht, was man selbst will oder entwerfen würde. Eine eigentlich „hässliche“ Bestandssituation als Herausforderung die Dinge so zu drehen, „dass etwas ganz anderes zum Vorschein kommt“.
Die derart zentral im Raum positionierte Sauna wirft Licht auf Brandlhubers Kritik der bürgerlichen „Wohnung“. Gegen die feste Nutzungszuschreibung von Räumen will Brandlhuber Räume lieber für mögliche Nutzungen öffnen. Und was ist denn überhaupt dieses „Wohnen“, das man angeblich in Wohnzimmern tut? Multifunktionale Räume kommen der Lebensweise der Menschen in den Städten von heute entgegen. Brandlhuber sieht die Stärke des Unfertigen, das immer auch Bewegung und Beweglichkeit bedeutet. „Es hat etwas Zukünftiges, lässt Vorstellung zu. Städte, die keine Räume mehr zum Denken bieten, haben keine Zukunft,“ so Brandlhuber. Dennoch, ein Stück Raufasertapete der Künstlerin Karin Sander und ein Parkett aus aufgeklebten Tonbändern des Künstlers Gregor Hildebrandt erinnern an alte Wohnträume. Aber die rohbauhafte Ästhetik der Antivilla beschert auch den großen Vorteil, dass mehr Menschen sich so ein Gebäude leisten können.
Schließlich lässt sich auch die Geschichte, die in dem Betonbau steckt, als Energie verstehen. Zu DDR-Zeiten wurden hier Miederwaren gefertigt. Das Gebäude war Teil des VEB Obertrikotagen in Wittstock, dem der Filmemacher Volker Koepp eine siebenteilige, über 23 Jahre gehende Doku-Reihe gewidmet hat. Wieso ein Gebäude mit Geschichte zerstören, um ein neues hinzustellen? Aber die Macher:innen haben auch ein Händchen für das sinnstiftende Aufwenden von Energie. Die vier großen, ausgefransten Fensteröffnungen Richtung See und Wald sehen nicht nur provisorisch in die Wand gehauen aus: Sie wurden auf Einladung von Brandlhuber von einer Gruppe von Freunden mittels Vorschlaghammer aus den Wänden herausgebrochen. Die Löcher wurden so belassen und große Scheiben vorgesetzt. Fertig war der atemberaubende See- und Waldblick!
Aber auch die Beton-Avantgarde greift manchmal gern nach Altbewährtem. An den Türen der Antivilla sind Griffe des Modells FSB 1045 verbaut, an den Eingangstüren in der verkröpften Variante FSB 06 1045. FSB 1045 ist eine Return-Variante von FSB 1015, einem Griff der eine gut 80jährige Geschichte trägt. Mit FSB 34 1015 im Design von Johannes Potente lassen sich in der Antivilla die Fenster mit der atemberaubenden Aussicht öffnen. Das unbehandelte Aluminium, das Brandlhuber und seine Partner für alle Griffe gewählt haben, wird durch Witterungseinflüsse im Laufe der Zeit stumpf hellgrau und dunkelt nach. Die Patina fügt sich unauffällig und schlüssig in die roh wirkenden Betonräume ein. Denn hier bildet alles ein großes, vielseitig bespielbares Grau, samt Alufensterrahmen, grau lackierten Holztüren und natürlich dem alten DDR-Beton.
Objektdetails
Fotos: Future Documentation / EO