Zur Sanierung der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe in Berlin

Ikone mit Widersprüchen

16.05.19

Text: Gregor Har­busch

Rund 110 Mil­lionen Euro ver­bauen David Chip­per­field Archi­tects für die denk­mal­ge­rechten Sanie­rung der Neuen Natio­nal­ga­lerie in Berlin. Doch sehen wird man davon am Ende so gut wie nichts, denn die Archi­tekt:innen zollen dem Meis­ter­werk Ludwig Mies van der Rohes maxi­malen Respekt und ver­zichten auf Neu­in­ter­pre­ta­tionen. Nächstes Jahr soll das Haus wie­der­er­öffnet werden. Was dürfen die Besu­che­rinnen und Besu­cher erwarten?

Die Neue Natio­nal­ga­lerie mag wie eine Archi­tektur abso­luter Klar­heit wirken, doch eigent­lich ist sie voller Wider­sprüche. Sie ist kom­pro­misslos modern in Kon­struk­tion und Mate­rial, aber klas­sisch im Habitus. Ihre glä­serne Aus­stel­lungs­halle ist ein gran­dioser Ide­al­raum, doch im Sockel­be­reich arbei­tete Mies mit Teppich, höl­zernen Sockel­leisten und Rau­fa­ser­ta­pete. Und ein Museum ist das Museum eigent­lich auch nicht, denn das Ber­liner Projekt basiert auf den Pla­nungen für das Haupt­quar­tier von Bacardi in Kuba.

Den nicht rea­li­sierten Entwurf adap­tierte Mies, als er 1961 beauf­tragt wurde, ein Aus­stel­lungs­haus am Ber­liner Kul­tur­forum zu bauen. Deshalb ver­wun­dert es nicht, dass die riesige Halle von Anfang an Pro­bleme machte. Bei fast jeder Aus­stel­lung kämpften die dama­ligen Kura­toren gegen die Logik des wand­losen Raums – und bereits kurz nach der Eröff­nung klebten die Vor­hänge am Schwitz­wasser der Glas­scheiben fest.

Auch die Beton­kon­struk­tion der Neuen Natio­nal­ga­lerie musste umfas­send saniert werden. (Foto: Bun­desamt für Raum­ord­nung und Bau­wesen / Thomas Bruns)

Ein idealer Aus­stel­lungs­raum, der strengsten kon­ser­va­to­ri­schen Bedin­gungen genügt, wird die Halle jedoch auch nach der Sanie­rung nicht sein. Museum, Archi­tekt:innen und Denk­mal­pflege ent­schieden sich dafür, das pure Raum­er­lebnis zu erhalten und die gewagte Stahl-Glas-Kon­struk­tion ledig­lich unsichtbar zu ertüch­tigen. Dem­entspre­chend auf­wändig waren die Sanie­rungs­maß­nahmen an der Fassade, die zu starr kon­stru­iert und den Ber­liner Tem­pe­ra­tur­schwan­kungen nicht gewachsen war.

Die Planer:innen ent­schieden sich für den Einbau von je drei Pfosten mit Deh­nungs­fugen pro Fas­sa­den­seite und den Einbau von Ver­bund­si­cher­heits­glas, das eigens aus China ange­lie­fert wurde. Dort gibt es die einzige Firma welt­weit, die die 3,46 Meter breiten Scheiben pro­du­zieren kann. Iso­lier­glas war aus denk­mal­pfle­ge­ri­schen Gründen nicht möglich, statt­dessen ver­sucht man, mit einer bes­seren Belüf­tungs­technik künftig das Beschlagen der Scheiben zu ver­hin­dern.

Über­haupt wurde die tech­ni­sche Gebäu­de­aus­rüs­tung kom­plett erneuert, außerdem erwei­terten die Archi­tekten das Unter­ge­schoss in Rich­tung Pots­damer Straße um ein Kunst­depot und Tech­nik­räume. Bemerken werden die Besu­cher:innen diesen größten bau­li­chen Ein­griff nur mit­telbar an den groß­zü­gi­geren Ser­vice­be­rei­chen im unteren Foyer, für die so Platz gewonnen wurde.

Bild 1 von 6: Während der Sanie­rung ver­stellt ein Raum­ge­rüst die große Halle der Neuen Natio­nal­ga­lerie.
(Foto: Ute Zscharnt für David Chip­per­field Archi­tects)

Bild 2 von 6: Arbeiten an der West­seite des Gebäudes. Im Hin­ter­grund zu sehen: das Kul­tur­forum mit der St. Mat­thäus-Kirche.
(Foto: Bun­desamt für Raum­ord­nung und Bau­wesen / Thomas Bruns)

Bild 3 von 6: Für die Sanie­rung wurde das Gebäude prak­tisch in den Roh­bau­zu­stand ver­setzt und alle Ein­bauten wie Türen, Decken­ver­klei­dungen oder Fuß­böden ein­ge­la­gert. Hier der Gar­ten­saal im Unter­ge­schoss.
(Foto: Ute Zscharnt für David Chip­per­field Archi­tects)

Bild 4 von 6: Aus­stel­lungs­räume im Unter­ge­schoss
(Foto: Ute Zscharnt für David Chip­per­field Archi­tects)

Bild 5 von 6: Die große Halle vor der Sanie­rung
(Foto: Ute Zscharnt für David Chip­per­field Archi­tects)

Bild 6 von 6: Die große Halle, die Gar­de­roben- und Kas­sen­boxen sind demon­tiert.
(Foto: Ute Zscharnt für David Chip­per­field Archi­tects)

Die Arbeits­at­mo­sphäre zwi­schen allen Betei­ligten sei groß­artig, betont Martin Rei­chert, zustän­diger Partner im Büro Chip­per­field. Eine gemein­same Exkur­sion zu Bauten von Mies in den USA am Anfang des Pla­nungs­pro­zesses war nicht nur lehr­reich, sondern diente auch dem Team­buil­ding. Schließ­lich sind an der Sanie­rung zahl­reiche Partner betei­ligt. Einig seien sich alle über den extrem hohen denk­mal­pfle­ge­ri­schen Anspruch, mit dem man dem Haus begegnet, auch wenn dies manchmal im Wider­spruch zu den heu­tigen Vor­stel­lungen eines zeit­ge­nös­si­schen Muse­ums­be­triebs steht.

Nur bei einem Punkt wurde wirk­lich kon­tro­vers dis­ku­tiert: Auf die braune Aus­leg­ware im Unter­ge­schoss hätten die Muse­ums­leute nach der Sanie­rung sehr gerne ver­zichtet. Aber Archi­tekt:innen und Denk­mal­pflege setzten sich durch, und der Tep­pich­boden wurde nach noch vor­han­denen ori­gi­nalen Mustern neu pro­du­ziert – ganz im Geist der Sixties. Die ebenso ori­gi­nalen Rau­fa­ser­ta­peten dagegen werden nicht wie­der­her­ge­stellt, statt­dessen wird man die Kunst der klas­si­schen Moderne zukünftig vor glatt ver­putzten Wänden erleben.

Hier waren sich dann doch alle einig, dass dies zu viel bür­ger­liche Inte­rieur-Inti­mität gewesen wäre. Aber viel­leicht ändert sich ja auch diese Sicht­weise – und in zehn oder zwanzig Jahren kommen die Tape­zierer, um Mies’ ambi­va­lente Ikone der inter­na­tio­nalen Nach­kriegs­mo­derne noch­mals ein Stück­chen weiter in den Ori­gi­nal­zu­stand zurück­zu­führen.

Blick in die Baugrube für die neuen Depoträumen im Untergeschoss. Im Hintergrund die Staatsbibliothek und die Gebäude am Potsdamer Platz.

(Foto: Bun­desamt für Raum­ord­nung und Bau­wesen / Thomas Bruns)

Eine der Stahlstützen, die das große Dach tragen.

(Foto: Ute Zscharnt für David Chip­per­field Archi­tects)

No content for MarktSpracheUndZielgruppe.properties.xml