InteriorPark im Interview

Wir nutzen gerne vorgefundene Materialien

12.10.18

Geschätzte Lese­zeit: 2 Minuten, 40 Sekunden - 12. Oktober 2018 | Text: Bettina Schür­kamp

Die Stutt­garter Desi­gne­rinnen Andrea Herold und Tina Kammer setzen sich unter dem Namen Inte­ri­or­Park seit vielen Jahren für nach­hal­tige Innen­ar­chi­tektur mit öko­lo­gi­schen und doch ästhe­ti­schen Mate­ria­lien ein. Mit diesem Ansatz sanierten sie auch eine ein­sturz­ge­fähr­dete Schlos­serei in einem Innenhof nur wenige Schritte vom Stutt­garter Mari­en­platz ent­fernt. Ein Gespräch über Beton­hüte, Papier­bänke und das Poten­zial des Themas Nach­hal­tig­keit in der Archi­tektur.

Welche Her­aus­for­de­rungen beglei­teten beim Projekt Schlos­serhof den Weg von der Ruine zur Wohnung?

Tina Kammer: Der schlechte Zustand der Bau­sub­stanz war das größte Problem bei der Trans­for­ma­tion der ver­fal­lenen Schlos­serei-Ruine in eine Wohnung. In dem Stutt­garter Innenhof standen nur noch ein­zelne Mau­er­frag­mente, die quasi durch die Türen gehalten wurden. Nur der Bestands­schutz ermög­lichte eine Bau­ge­neh­mi­gung für die Sanie­rung und die Umnut­zung. Im eng bebauten Stutt­garter Westen wäre solch ein ein­ge­schos­siger Neubau heute nicht mehr geneh­mi­gungs­fähig. Daher durften die fra­gilen Wände auf keinen Fall ein­stürzen, denn dann hätten wir nicht wei­ter­bauen können, dann wäre hier jetzt ein Park­platz.

Wie haben Sie die ein­sturz­ge­fähr­deten Mauern in trag­fä­hige Außen­wände ver­wan­delt?

Tina Kammer: Von der Schlos­serei standen nur noch drei, zum Teil ein­ge­bro­chene Wände. Für dieses fragile Mau­er­werk haben wir vom Bauamt die Auflage erhalten, alles zu unter­graben und mit einem zusätz­li­chen Beton­fun­da­ment zu unter­fangen. Der Sta­tiker hat die Hände über dem Kopf zusam­men­ge­schlagen: „Wir müssen es einfach pro­bieren, auch wenn niemand eine Garantie für die erfolg­reiche Sanie­rung über­nehmen wird.“ Nach der geglückten Sanie­rung der Wände haben wir die gesamte Kon­struk­tion von oben noch einmal mit einem Beton­rin­ganker gefangen, der auch die Ober­lichter ein­rahmt. Dem Haus haben wir quasi einen Hut aus Beton auf­ge­setzt, der in einem Zug gegossen wurde. Lehm­putz auf einer Holz­fa­ser­däm­mung ver­leiht dem Raum heute ein ange­nehmes Raum­klima.

Die Zwei von Inte­ri­or­Park: Andrea Herold und Tina Kammer (von links).

Welche Rolle spielte die ehe­ma­lige Nutzung als Schlos­serei in Ihrem Sanie­rungs­kon­zept?

Tina Kammer: Durch schritt­weise Aus­bau­stufen ist seit dem Jahr 1904 der ver­win­kelte, u-för­mige Grund­riss der Schlos­serei ent­standen. Im dunklen, hin­teren Teil wurde früher geschweißt. Auch wenn wir den ver­rußten Putz frei­ge­legt haben, erin­nern das offene his­to­ri­sche Mau­er­werk und die schwarzen Ein­rich­tungs­ele­mente mit einer rauen Atmo­sphäre an die ehe­ma­lige, fun­ken­sprü­hende Nutzung. Heute liegt hier die Küche mit einem Sitz­platz auf einem erhöhten Podest, der über einen offenen Blick mit dem Wohn­raum ver­bunden ist.

Wir haben für die Aus­bauten Holz aus dem Schwarz­wald gewählt, das aus dem eigenen Wald der Firma stammt.
Andrea Herold: Aus der alten Schlos­serei haben wir viele Aus­bau­ele­mente wie die Türen auf­wändig restau­riert und an neuer Stelle wieder ein­ge­setzt. Gerade die gestri­chen Türen setzen kräf­tige Farb­ak­zente in den angrenzten Schlaf­räumen mit Bad. Das Türkis hat den Hin­ter­grund, dass dieser Raum früher zum Teil in dieser Farbe gestri­chen war. Für unsere Sanie­rungen nutzen wir gene­rell so weit wie möglich vor Ort gefun­dene Mate­ria­lien. Dies konnten wir bei­spiels­weise bei der Umnut­zung einer Stutt­garter Bäckerei in eine Galerie beson­ders kon­se­quent umsetzen.

Ein High­light sind die Sitz­bänke, die wir aus großen Mengen von altem Back­pa­pier geflochten haben, das noch im Lager lag. Wenn wir an unseren Pro­jekten arbeiten, fragen Men­schen oft: „Warum schmeißt ihr das nicht weg?“. Doch wenn alles fertig ist, wirken gerade diese his­to­ri­schen Spuren wie Schmu­ck­el­e­mente.

Bild 1 von 7: Mitten in Stutt­gart, in einem Innenhof, liegt die ehe­ma­lige Schlos­serei, die Inte­ri­or­Park saniert haben. (Alle Pro­jekt­fotos: bild­hüb­sche foto­grafie, Andreas Körner)

Bild 2 von 7: Die Innen­räume des Schlos­ser­hofs. Inte­ri­or­Park stat­teten die Wohnung unter anderem mit Beschlägen von FSB aus, mit dem Modell 1147 in matt­schwarz.

Bild 3 von 7: Ober­lichter ver­sorgen die Räume zusätz­lich mit Tages­licht.

Bild 4 von 7: Ein Blick in die Küche

Bild 5 von 7: Das Bad mit tür­kiser Tür

Bild 6 von 7: Bestands­schutz für eine Ruine: So sah die ehe­ma­lige Schlos­serei vor dem Umbau aus.

Bild 7 von 7: Ein anderes Inte­ri­or­Park-Pro­jekt in Stutt­gart: die Umnut­zung einer ehe­ma­ligen Bäckerei zur Galerie AK2

Zu Ihrem Büro­profil gehört die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Thema Nach­hal­tig­keit.

Tina Kammer: Wir beschäf­tigen uns seit über 30 Jahren mit nach­hal­tigen Ent­wick­lungen im Design und in der Archi­tektur. Der Begriff „Nach­hal­tig­keit“ wird so infla­tionär ein­ge­setzt, dass man den Ein­druck gewinnt, alles kann nach­haltig sein. Tat­säch­lich bergen nach­hal­tige Ent­wick­lungen ein enormes Poten­zial.

Dabei spielen Umwelt­be­las­tung und Res­sour­cen­ver­brauch ebenso eine Rolle wie Qua­lität und Gesund­heit. Das Design über­nimmt hierbei eine zen­trale Rolle und gibt neben Funk­tio­na­lität und Ästhetik eben auch Pro­duk­ti­ons­ver­fahren und deren Kreis­lauf­fä­hig­keit vor, die im Gesamten den Grad der Nach­hal­tig­keit aus­ma­chen.