Haufe Petereit haben ein Lübecker Altstadthaus saniert

Die Faszination der Fremdbestimmung

28.04.20

Nicola Pete­reit und Jörg Haufe leben in Lübeck, arbeiten in Lübeck – und lieben die Lübe­cker Alt­stadt mit ihren unge­wöhn­li­chen Häusern.
Text: Ann-Kristin Mas­jos­hus­mann, alle Fotos: Jewgeni Roppel

Nicola Pete­reit und Jörg Haufe leben in Lübeck, arbeiten in Lübeck – und lieben die Lübe­cker Alt­stadt mit ihren unge­wöhn­li­chen Häusern. Nicht zum ersten Mal hat das Archi­tek­ten­paar jetzt eines der Häuser saniert und ist selbst ein­ge­zogen. Sie nehmen das FSB Magazin mit auf ihre Reise in die Ver­gan­gen­heit.

Alles begann 1996 in der Fleisch­hau­er­straße mitten im Hand­wer­ker­viertel der Lübe­cker Alt­stadt mit dem Kauf eines in den Grund­mauern im 16. Jahr­hun­dert erbauten alten Wohn­hauses. Die Archi­tekt:innen Nicola Pete­reit und Jörg Haufe sanierten das Gebäude fünf Jahre lang und wohnten 16 Jahre darin. Schon vor dem Einzug wurde das im Kauf­manns­viertel gele­gene Archi­tek­tur­büro zu klein, was kur­zer­hand zu einem wei­teren Immo­bi­li­en­kauf – eben­falls in der Fleisch­hau­er­straße – führte.

So ist das in Lübeck. Nach­bar­schaft wird groß geschrieben, der Immo­bi­li­en­markt wird nicht auf Web­sites, sondern auf der Straße abge­wi­ckelt. Im per­sön­li­chen Kontakt. Mit viel Muße und ohne Druck. Die fami­liäre Situa­tion ließ den Wunsch nach wei­terem Wohn­raum mit Ein­lie­ger­woh­nung und Schrau­ber­werk­statt auf­kommen – und wie sollte es anders sein: Ein Objekt der Begierde – natür­lich in der Fleisch­hau­er­straße – offen­barte sich. Was zunächst mit der Anfrage einer Werk­statt­fläche für Jörg Haufes Motorrad-Tüf­telei begann, endete 2018/19 mit dem Bezug der Haus­nummer 75. Ursprüng­li­cher Eigen­tümer war die Familie Kahns. Maler­meister seit drei Gene­ra­tionen, seit 1942 in dem Gebäu­de­kom­plex ansässig und ver­haftet mit der uner­bitt­li­chen Fami­li­en­dok­trin: Ein Kahns ver­kauft nicht.

Nun, im Laufe von drei Jahren sprach man immer mal wieder – über die 500 Qua­drat­meter ver­las­sene Maler­werk­statt, ein Lei­ter­lager, ein Vor­der­haus mit Woh­nungen, ein für Lübeck typi­sches Quer- bezie­hungs­weise Ate­lier­haus, das nur über einen Innenhof erreichbar ist. Archi­tek­to­nisch für Lübeck typisch, für die Archi­tekt:innen her­aus­for­dernd. So wie sie es mögen. „Mich begeis­tert die Fremd­be­stim­mung, der ich aus­ge­setzt bin, wenn ich auf ein altes Gebäude treffe“, sagt Nicola Pete­reit im Inter­view. „Ich kann nicht einfach irgend­etwas ent­werfen. Das Haus gibt mir einen Rahmen, ändert im Laufe der bau­li­chen Ent­wick­lungen seine Meinung, bringt Schätze und Unweg­sam­keiten zu Tage – damit arbeite ich dann am liebsten.“

Anfang 2015 dann das ent­schei­dende Tele­fonat, acht Wochen später der Notar­termin, Ein­rei­chung des Bau­an­trags und des Antrags auf Denk­mal­schutz einiger Gebäu­de­teile, nach Ostern Beginn des Umbaus. „Medi­ta­tives Räumen“ stand in den ersten Wochen auf der Tages­ord­nung. Der Eigen­tümer durfte die nun schon seit über drei Jahren unge­nutzte und voller Relikte ver­gan­gener Maler­be­triebs­zeiten dem Verfall über­las­sene Gewer­be­fläche einfach so über­geben, wie sie war. Eine alte Maler­meister-Urkunde des Groß­va­ters Kahns tauchte auf, 13 Tonnen unbrauch­bare Farb­reste und Che­mi­ka­lien in Gebinden aller Größen, unzäh­lige Zeit­schriften, auch aus der Vor­kriegs­zeit, über Schriften- und For­men­lehre.

„Wir haben selbst geräumt, ‚medi­ta­tives Räumen‘ nenne ich das. Man lernt ein Gebäude dann sehr gut kennen, ver­bindet sich mit ihm, trägt Schicht für Schicht ab, erfasst die Dimen­sionen, die Mate­ria­li­täten, die Licht­si­tua­tion in den ein­zelnen Räumen durch den wech­selnden Son­nen­stand tags­über.“ Brauch­bare his­to­ri­sche Farb­pig­mente wurden an ein Gut in der Nähe von Hamburg abge­geben, Kunst­lehrer holten sich Lein­wände für den Unter­richt, inter­es­sante Begeg­nungen mit unter­schied­li­chen Men­schen inspi­rierten die Archi­tekt:innen und tätigen Hand­werker:innen. Das Haus atmet mit jedem Raum, jeder Nische, jedem Balken Geschichte. Die Archi­tekt:innen fanden zwi­schen Decken­balken Kup­fer­de­ckel für See­manns­knöpfe aus dem Ende des 19. Jahr­hun­derts – der dama­lige Standort für eine Prä­ge­ma­schine, der auch die über­mä­ßige Dimen­sio­nie­rung der Balken der ehe­ma­ligen Anla­gen­fa­brik erklärt. Übli­cher­weise sind die Quer­häuser immer eher fili­gran und weniger groß­zügig.

Die beiden Archi­tekt:innen haben sich dem Prinzip ver­pflichtet, sehr deut­lich zu zeigen, was an einem Gebäude Bestand und was neu ist. „In Lübeck neigen die Leute dazu, alles wieder in den Ori­gi­nal­zu­stand zu ver­setzen, dadurch wird vieles nied­lich, zu einer Kulis­sen­ar­chi­tektur. Wir stellen uns immer die Frage, wie viel wir dem Haus an Neuem zumuten können, ohne zu brutal vor­zu­gehen. Es darf zum Schluss nicht ver­letzt, aber auch nicht ver­kleidet aus­sehen.“
In einem der ehe­ma­ligen Maler­werk­statt­räume sind zen­ti­me­ter­dicke Farb­schichten auf den Wänden und am Boden. Über Jahr­zehnte wurden hier Pinsel aus­ge­schlagen, Rollen aus­ge­rollt. Es ent­stand ein für die Archi­tekt:innen immens ästhe­ti­sches und ideell wert­volles Relikt, das erhalten werden musste. So blieb alles Alte rau, mit sicht­baren Spuren, alles Neue wurde glatt, eckig, mini­ma­lis­tisch, flä­chen­bündig.

Frau Pete­reit, Herr Haufe, was ist Ihnen in der heu­tigen Zeit rund ums Bauen noch und wieder „lieb und teuer“?
Schön­heit – und diese ent­steht nicht nur im Auge des Betrach­tenden, sondern auch im Dialog des Gegen­stands mit dem Umfeld, des Hauses mit der Umge­bung, des Innen­aus­baus mit dem Bestand. Die Vor­aus­set­zung ist eine Geschichte, die das Objekt zu erzählen hat. Eine Ästhetik, die den Betrach­tenden, den Besu­chenden, die Emp­fänger:innen berührt und dadurch beglückt. In unserem Leben und Arbeiten im denk­mal­ge­schützten Bestand hat das in der Regel mit Ein­zig­ar­tig­keit zu tun: die Ein­ma­lig­keit einer Situa­tion, die sich durch die vor­ge­fun­dene Sub­stanz, die Ansprüche des Bau­herrn und der Nutzung, den Zeit­geist der Sanie­rung und die Gestal­tung neuer Zutaten ergibt.

Was ist das Kost­barste, das Sie während Ihres Stu­diums besessen haben? Und welches ist das, das Sie heute besitzen?
Damals wie heute Gegen­stände, die eine Geschichte haben, Design-Geschichte, aber auch per­sön­liche Geschichte aus der Familie oder von Freunden. Im Studium die indi­vi­duell zusam­men­ge­stellte Musik­kas­sette, das in Arbeit befind­liche Archi­tek­tur­mo­dell, der hol­län­di­sche Kin­der­wagen Jahr­gang 1966, ein Foto­album, ein Bild... Und heute lässt sich das nur als Zusam­men­fas­sung der Viel­zahl dieser oder ähn­li­cher Gegen­stände benennen, unser Zuhause.

Jedes Ding hat seinen Platz. Das Haus mit all unseren Zutaten, fest ein­ge­baut im Zuge der Sanie­rung und somit ein Sam­mel­su­rium aus den vielen kleinen Geschichten, ent­standen ohne Fremd­ein­fluss im Sinne unserer ästhe­ti­schen Vor­stel­lungen.

Durch welche Ereig­nisse hat sich Ihre Bewer­tung von Kost­barem ver­än­dert?
Durch per­sön­liche Erleb­nisse und Erfah­rungen gewinnen oder ver­lieren Gegen­stände an Bedeu­tung. Per­spek­tiv­wechsel, Lebens­ab­schnitte, Reisen, Tren­nungen, neue Bezie­hungen und Abschiede bringen Ände­rungen der indi­vi­du­ellen Bewer­tung mit sich.

Text und Inter­view sind zuerst erschienen im Berüh­rungs­PUNKTE Magazin

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