Der Regisseur Heinz Emigholz im Interview

Architektur kann brüllend komisch sein

08.03.19

Eigent­lich wollte er nur einen Film über Archi­tektur drehen, mitt­ler­weile sind es fast 100 – gera­dezu obsessiv hat Heinz Emig­holz über Jahr­zehnte Häuser und Orte gefilmt und dabei eine neue Sicht­weise auf den gebauten Raum geschaffen. Nun hatte er die ein­ma­lige Mög­lich­keit, den Neu­bau­pro­zess der Kunst­halle Mann­heim von gmp Archi­tekten über fünf Jahre hinweg zu doku­men­tieren. Anläss­lich der bevor­ste­henden Prä­sen­ta­tion des Films in der Kunst­halle sprach FSB mit Emig­holz über die Fas­zi­na­tion der Bau­stelle, die Komik der gebauten Stadt und seine Aver­sionen gegen­über dem Bauhaus.

Vor Kurzem wurde Ihr Film „Years of Con­struc­tion (Pho­to­gra­phie und jen­seits – Teil 29 / Bau­jahre – Kunst­halle Mann­heim 2013 – 2018)“ auf der Ber­li­nale 2019 urauf­ge­führt. Es ist Ihr erster 90-Minuten-Film, der sich einem ein­zigen zeit­ge­nös­si­schen Bau­pro­jekt widmet. Der Film zeigt den Abriss der alten und den Bau der neuen Erwei­te­rung der Kunst­halle Mann­heim von gmp Archi­tekten. Wie kam es zu diesem Projekt?
Heinz Emig­holz: Das Neu­bau­pro­jekt geht auf die Direk­torin der Kunst­halle Mann­heim, Ulrike Lorenz, zurück, die dafür wie­derum den pri­vaten Stifter Hans-Werner Hector gewinnen konnte. Lorenz kannte meine Filme und hat mich 2012 gefragt, ob ich inter­es­siert sei, eine doku­men­ta­ri­sche Beglei­tung zu machen. Ich habe ein­ge­wil­ligt, da ich einen solchen Prozess noch nie beob­achtet hatte. Damals wusste ich nicht mal, wer den Auftrag bekommt, aber das war auch nicht das Ent­schei­dende. Fern­sehen oder Film­för­de­rung können solche Pro­jekte gar nicht machen, da sie mit ihren Abrech­nungs­modi nicht mehr in der Lage sind, län­ger­fris­tige Pro­jekte durch­zu­ziehen. Deshalb war es ein Glücks­fall, dass Lorenz die Initia­tive ergriffen hat.

Die Bau­stelle ist für Archi­tekt:innen gera­dezu ein Fetisch. Was hat Sie konkret an Bau­pro­zess und Bau­stelle inter­es­siert?
Eine Bau­stelle ist immer auch exter­ri­to­riales Gebiet, da es ver­boten ist, dorthin zu gehen. Es hat mich gereizt, Zugang zu allen Arbeits­schritten zu haben und nicht nur mit dem fer­tigen Produkt kon­fron­tiert zu sein. Ich wollte die Trans­for­ma­tion des Ortes begleiten, egal was da ent­stand. Das war im ersten Schritt der Rückbau des Bestands­baus aus den 80ern, der zurecht abge­rissen wurde. Er stand auf einem Nazi-Bunker, Wasser war zwi­schen beide Gebäu­de­teile ein­ge­drungen und die Bedürf­nisse des Museums konnten im Altbau nicht mehr befrie­digt werden. Der Abriss war ein ziem­lich monu­men­tales Unter­nehmen, da der Bunker meter­dicke Wände hatte. Mich haben auch die Blicke inter­es­siert, die frei­ge­legt werden, wenn ein Gebäude weg ist. Man konnte seit langer Zeit zum ersten Mal wieder vom Altbau von 1907 über den ganzen Fried­richs­platz blicken. Ich fand es sehr gut, dies zu doku­men­tieren, bevor der Blick wieder zuge­baut wird.

Der Berliner Regisseur Heinz Emigholz

Wie viele Filme mit Archi­tek­tur­bezug haben Sie gemacht?
Ehrlich gesagt, ich habe nicht nach­ge­zählt, zirka 70 bis 100. Viele Kurz­filme natür­lich, nicht so viele lange.

Und wie kam es, dass die Archi­tektur zur Prot­ago­nistin Ihrer Filme wurde?
Eigent­lich geht es mir um Erzeug­nisse mensch­li­cher Pro­duk­tion, also um Design, künst­le­ri­sche Pro­duk­tion, Schrift, Skulptur, Zeich­nung und Malerei.

Aber die Archi­tektur inter­es­siert mich ganz beson­ders, denn sie ist drei­di­men­sional an Orten ver­an­kert. Das kam alles aus dem Projekt „Pho­to­gra­phie und jen­seits/Pho­to­graphy and beyond“, bei dem ich mich mit dem Lesen kul­tu­reller Pro­dukte in unserem Bewusst­sein befassen wollte. Anfang der 90er Jahre habe ich dafür einen Essay geschrieben, um eine Film­för­de­rung zu bekommen. Dieser Film ist aber nie zustande gekommen, weil er sich durch Zell­tei­lung in immer mehr Ein­zel­pro­jekte ver­zweigt hat.

Sie haben unter anderem Filme über Eladio Dieste, Bruce Goff, Pier Luigi Nervi und Auguste Perret gedreht. Wie kommt es zur Auswahl der Archi­tekt:innen?
Ich beschäf­tige mich mit Leuten, zu denen ich eine per­sön­liche Bezie­hung habe, weil sie auf eine Weise Räume bauen, die mir ver­traut vor­kommt. Als Kame­ra­mann liebe ich es, kom­pli­zierte Räume mit der Kamera abzu­bilden.

Bild 1 von 7: Stand­bilder aus dem Film „Years of Con­struc­tion“ – hier die Fassade des neuen Erwei­te­rungsbau von gmp Archi­tekten.

Bild 2 von 7: Der fer­tig­ge­stellte Erwei­te­rungsbau der Kunst­halle

Bild 3 von 7: Auf­nahmen von der Bau­stelle

Bild 4 von 7

Bild 5 von 7

Bild 6 von 7: Der alte, abge­ris­sene Erwei­te­rungsbau

Bild 7 von 7: Der neue Erwei­te­rungsbau nach der Eröff­nung im ver­gan­genen Jahr

Und wie bereiten Sie sich auf ihre Filme vor?
Ich recher­chiere natür­lich, denn gerade die län­geren Filme sind ja nahezu Kata­loge des gebauten Werks. Nicht alle Orte kenne ich vor dem Dreh. Für den Film über Bruce Goff musste ich 15.000 Meilen durch Amerika zurück­legen, das kann man nicht so oft machen. Ich kannte viel­leicht fünf Gebäude im Vorfeld, die anderen waren Über­ra­schungen der sehr ange­nehmen Art. Es ist immer wieder fan­tas­tisch, die Bauten wirk­lich zu sehen. Diese Erfah­rung möchte ich durch meine Filme wei­ter­geben. Deshalb benutze ich auch keine Tele- oder Weit­win­kel­ob­jek­tive, denn ich möchte die mensch­liche Sicht auf die Sache erhalten. Ich ver­wende auch kein künst­li­ches Licht, weil ich denke, dass die Archi­tekt:innen das Licht vor Ort berück­sich­tigt haben.

In einem Text zu „Pho­to­gra­phie und jen­seits“ aus dem Jahr 2013 schreiben Sie, dass die „der Archi­tektur inne­woh­nende brül­lende Komik welt­weit unter­schätzt wird.“ Was meinen Sie damit?
Als ich das geschrieben habe, habe ich mich langsam vom mono­gra­phi­schen Prinzip der Filme gelöst und mich mehr für Ensem­bles inter­es­siert, also zum Bei­spiel für die Frage, wie gerade die moderne Archi­tektur im Zusam­men­hang mit anderen Archi­tek­turen steht. Die Ver­kehrs­ver­hält­nisse, wie Häuser in der Land­schaft stehen, wie Häuser auf­ein­an­der­stoßen oder wie Straßen mit Häusern ver­bunden wurden – das alles sind lang­fris­tige Pro­zesse, die niemand richtig steuern kann. Da kommen Dinge zusammen, die sich niemand vorher vor­ge­stellt hat. Das ist eine Art von Anar­chie, die manchmal wirk­lich brül­lend komisch sein kann. Ich könnte eine Komödie darüber drehen. Nehmen Sie zum Bei­spiel den aktu­ellen Film über Mann­heim – wie da ein Neubau in das alte Schlos­sen­semble rein­stößt. Ich finde es einfach komisch. Man kann es bedauern, aber man kann auch darüber lachen.

Sie haben sich mit keinem ein­zigen Bau­haus-Archi­tekten im wei­testen Sinne beschäf­tigt, sondern immer mit Archi­tekt:innen, die plas­tisch oder kon­struktiv arbeiten. Inter­es­siert es Sie nicht, einen neuen Blick auf die Bauten von Mies oder Gropius zu werfen?
Ich bin oft in Amerika und kenne die Per­spek­tive der dor­tigen Uni­ver­si­täten. Wie die Bau­häusler in Amerika ein­mar­schiert sind, ist einfach nur übel. Sie haben etwa dafür gesorgt, dass Leute wie Rudolph Schindler und Bruce Goff keine Arbeit bekamen. Mies war beson­ders mies. Er hat Stu­die­rende zu seinem berühmten Farns­worth House bei Chicago geführt, das aus kli­ma­ti­schen Gründen völlig unbe­wohnbar ist. Danach hat er ihnen ein paar Kilo­meter weiter das Ford House von Goff gezeigt und gesagt: „Jetzt zeige ich euch mal, wie man nicht bauen darf.“ Diese Art von Bau­häusler war extrem ideo­lo­gisch. Das betrifft auch Gropius, der in den Süden geblickt hat und dort erkannte, dass man auch Flach­dä­cher bauen kann, um dann in Europa unter völlig anderen Wit­te­rungs­ver­hält­nissen Flach­dä­cher zu bauen. Was das Bauhaus anbe­langt, gibt es manche Erfin­dungs­my­then, die eigent­lich über­flüssig sind. Auch das Thema Bauhaus in Tel Aviv ist zum Teil aben­teu­er­lich über­schätzt. Ich betei­lige mich nicht an dieser Lob­prei­sung.

Erfahren Sie mehr über die Kunst­halle Mann­heim in unserem Refe­renz­be­richt in den FSB Archi­tek­touren.