Der Regisseur Heinz Emigholz im Interview
Architektur kann brüllend komisch sein
Eigentlich wollte er nur einen Film über Architektur drehen, mittlerweile sind es fast 100 – geradezu obsessiv hat Heinz Emigholz über Jahrzehnte Häuser und Orte gefilmt und dabei eine neue Sichtweise auf den gebauten Raum geschaffen. Nun hatte er die einmalige Möglichkeit, den Neubauprozess der Kunsthalle Mannheim von gmp Architekten über fünf Jahre hinweg zu dokumentieren. Anlässlich der bevorstehenden Präsentation des Films in der Kunsthalle sprach FSB mit Emigholz über die Faszination der Baustelle, die Komik der gebauten Stadt und seine Aversionen gegenüber dem Bauhaus.
Vor Kurzem wurde Ihr Film „Years of Construction (Photographie und jenseits – Teil 29 / Baujahre – Kunsthalle Mannheim 2013 – 2018)“ auf der Berlinale 2019 uraufgeführt. Es ist Ihr erster 90-Minuten-Film, der sich einem einzigen zeitgenössischen Bauprojekt widmet. Der Film zeigt den Abriss der alten und den Bau der neuen Erweiterung der Kunsthalle Mannheim von gmp Architekten. Wie kam es zu diesem Projekt?
Heinz Emigholz: Das Neubauprojekt geht auf die Direktorin der Kunsthalle Mannheim, Ulrike Lorenz, zurück, die dafür wiederum den privaten Stifter Hans-Werner Hector gewinnen konnte. Lorenz kannte meine Filme und hat mich 2012 gefragt, ob ich interessiert sei, eine dokumentarische Begleitung zu machen. Ich habe eingewilligt, da ich einen solchen Prozess noch nie beobachtet hatte. Damals wusste ich nicht mal, wer den Auftrag bekommt, aber das war auch nicht das Entscheidende. Fernsehen oder Filmförderung können solche Projekte gar nicht machen, da sie mit ihren Abrechnungsmodi nicht mehr in der Lage sind, längerfristige Projekte durchzuziehen. Deshalb war es ein Glücksfall, dass Lorenz die Initiative ergriffen hat.
Die Baustelle ist für Architekt:innen geradezu ein Fetisch. Was hat Sie konkret an Bauprozess und Baustelle interessiert?
Eine Baustelle ist immer auch exterritoriales Gebiet, da es verboten ist, dorthin zu gehen. Es hat mich gereizt, Zugang zu allen Arbeitsschritten zu haben und nicht nur mit dem fertigen Produkt konfrontiert zu sein. Ich wollte die Transformation des Ortes begleiten, egal was da entstand. Das war im ersten Schritt der Rückbau des Bestandsbaus aus den 80ern, der zurecht abgerissen wurde. Er stand auf einem Nazi-Bunker, Wasser war zwischen beide Gebäudeteile eingedrungen und die Bedürfnisse des Museums konnten im Altbau nicht mehr befriedigt werden. Der Abriss war ein ziemlich monumentales Unternehmen, da der Bunker meterdicke Wände hatte. Mich haben auch die Blicke interessiert, die freigelegt werden, wenn ein Gebäude weg ist. Man konnte seit langer Zeit zum ersten Mal wieder vom Altbau von 1907 über den ganzen Friedrichsplatz blicken. Ich fand es sehr gut, dies zu dokumentieren, bevor der Blick wieder zugebaut wird.
Wie viele Filme mit Architekturbezug haben Sie gemacht?
Ehrlich gesagt, ich habe nicht nachgezählt, zirka 70 bis 100. Viele Kurzfilme natürlich, nicht so viele lange.
Und wie kam es, dass die Architektur zur Protagonistin Ihrer Filme wurde?
Eigentlich geht es mir um Erzeugnisse menschlicher Produktion, also um Design, künstlerische Produktion, Schrift, Skulptur, Zeichnung und Malerei.
Aber die Architektur interessiert mich ganz besonders, denn sie ist dreidimensional an Orten verankert. Das kam alles aus dem Projekt „Photographie und jenseits/Photography and beyond“, bei dem ich mich mit dem Lesen kultureller Produkte in unserem Bewusstsein befassen wollte. Anfang der 90er Jahre habe ich dafür einen Essay geschrieben, um eine Filmförderung zu bekommen. Dieser Film ist aber nie zustande gekommen, weil er sich durch Zellteilung in immer mehr Einzelprojekte verzweigt hat.
Sie haben unter anderem Filme über Eladio Dieste, Bruce Goff, Pier Luigi Nervi und Auguste Perret gedreht. Wie kommt es zur Auswahl der Architekt:innen?
Ich beschäftige mich mit Leuten, zu denen ich eine persönliche Beziehung habe, weil sie auf eine Weise Räume bauen, die mir vertraut vorkommt. Als Kameramann liebe ich es, komplizierte Räume mit der Kamera abzubilden.
Und wie bereiten Sie sich auf ihre Filme vor?
Ich recherchiere natürlich, denn gerade die längeren Filme sind ja nahezu Kataloge des gebauten Werks. Nicht alle Orte kenne ich vor dem Dreh. Für den Film über Bruce Goff musste ich 15.000 Meilen durch Amerika zurücklegen, das kann man nicht so oft machen. Ich kannte vielleicht fünf Gebäude im Vorfeld, die anderen waren Überraschungen der sehr angenehmen Art. Es ist immer wieder fantastisch, die Bauten wirklich zu sehen. Diese Erfahrung möchte ich durch meine Filme weitergeben. Deshalb benutze ich auch keine Tele- oder Weitwinkelobjektive, denn ich möchte die menschliche Sicht auf die Sache erhalten. Ich verwende auch kein künstliches Licht, weil ich denke, dass die Architekt:innen das Licht vor Ort berücksichtigt haben.
In einem Text zu „Photographie und jenseits“ aus dem Jahr 2013 schreiben Sie, dass die „der Architektur innewohnende brüllende Komik weltweit unterschätzt wird.“ Was meinen Sie damit?
Als ich das geschrieben habe, habe ich mich langsam vom monographischen Prinzip der Filme gelöst und mich mehr für Ensembles interessiert, also zum Beispiel für die Frage, wie gerade die moderne Architektur im Zusammenhang mit anderen Architekturen steht. Die Verkehrsverhältnisse, wie Häuser in der Landschaft stehen, wie Häuser aufeinanderstoßen oder wie Straßen mit Häusern verbunden wurden – das alles sind langfristige Prozesse, die niemand richtig steuern kann. Da kommen Dinge zusammen, die sich niemand vorher vorgestellt hat. Das ist eine Art von Anarchie, die manchmal wirklich brüllend komisch sein kann. Ich könnte eine Komödie darüber drehen. Nehmen Sie zum Beispiel den aktuellen Film über Mannheim – wie da ein Neubau in das alte Schlossensemble reinstößt. Ich finde es einfach komisch. Man kann es bedauern, aber man kann auch darüber lachen.
Sie haben sich mit keinem einzigen Bauhaus-Architekten im weitesten Sinne beschäftigt, sondern immer mit Architekt:innen, die plastisch oder konstruktiv arbeiten. Interessiert es Sie nicht, einen neuen Blick auf die Bauten von Mies oder Gropius zu werfen?
Ich bin oft in Amerika und kenne die Perspektive der dortigen Universitäten. Wie die Bauhäusler in Amerika einmarschiert sind, ist einfach nur übel. Sie haben etwa dafür gesorgt, dass Leute wie Rudolph Schindler und Bruce Goff keine Arbeit bekamen. Mies war besonders mies. Er hat Studierende zu seinem berühmten Farnsworth House bei Chicago geführt, das aus klimatischen Gründen völlig unbewohnbar ist. Danach hat er ihnen ein paar Kilometer weiter das Ford House von Goff gezeigt und gesagt: „Jetzt zeige ich euch mal, wie man nicht bauen darf.“ Diese Art von Bauhäusler war extrem ideologisch. Das betrifft auch Gropius, der in den Süden geblickt hat und dort erkannte, dass man auch Flachdächer bauen kann, um dann in Europa unter völlig anderen Witterungsverhältnissen Flachdächer zu bauen. Was das Bauhaus anbelangt, gibt es manche Erfindungsmythen, die eigentlich überflüssig sind. Auch das Thema Bauhaus in Tel Aviv ist zum Teil abenteuerlich überschätzt. Ich beteilige mich nicht an dieser Lobpreisung.
Erfahren Sie mehr über die Kunsthalle Mannheim in unserem Referenzbericht in den FSB Architektouren.