Das neue Image des Wohnhochhauses
Luft nach oben
New York, Dubai, Tokio, London – in vielen Metropolen bestimmt das Wohnhochhaus das Bild der Stadt. Steigender Wohnraummangel und die damit verbundene Verdichtung der Großstädte machen diesen Bautyp auch in Deutschland immer relevanter. Mit atemberaubendem Ausblick zu wohnen ist en vogue, insbesondere bei einer zahlungskräftigen Klientel, die Wert auf erstklassige Ausstattungen und großzügige Grundrisse legt. Werden die deutschen Städte also künftig in die Höhe wachsen?
„Gegenwärtig erleben wir eine Art Renaissance von Wohnhochhäusern, die mit extrem hochwertigem Wohnen verknüpft sind“, sagt Florian Schlüter von Meixner Schlüter Wendt Architekten aus Frankfurt.
Er erklärt: „Das Vorurteil bezüglich der Wohnhochhäuser aus den 60er und 70er Jahren, die als Synonyme für den Massenwohnungsbau gelten, wird gerade revidiert. Entscheidend ist dabei, sich von den Bauten der 1970er Jahre abzusetzen, hochwertige Standards einzuführen und Qualitäten des individuellen Wohnens zu entwickeln“, so der Architekt.
Deutlich wird dieser Ansatz mit dem Henninger Turm, den Meixner Schlüter Wendt Architekten vergangenes Jahr in Frankfurt am Main fertigstellten. Das „emotionale Denkmal“, wie das Büro den Turm bezeichnet, entstand an der Stelle eines 120 Meter hohen und 2013 abgerissenen Getreidesilos.
„Der ursprüngliche Turm war zu seiner Zeit innovativ und spielte im Bewusstsein der Frankfurter Bevölkerung eine große Rolle. Dieses Bild wollten wir erhalten und transformieren“, erklärt Schlüter.
Mit 140 Metern ist der Turm eines der höchsten Wohnhäuser Deutschlands, der Quadratmeterpreis der Appartements liegt hier zwischen 4.700 und 9.500 Euro. „Besonderes Augenmerk legten wir auf die Kultivierung des Außenraums“, so Schlüter. Denn gelungene Verbindungen zur städtischen Umgebung mit Elementen wie Loggien, Balkonen und Wintergärten machen laut Schlüter das Hochhaus attraktiv für die Wohnnutzung.
„Die größte Differenz zu Wohnhochhäusern der Vergangenheit besteht in den öffentlichen Bereichen. Sie müssen besondere Qualitäten aufweisen, damit sich öffentliches Leben entfalten kann. Eine große Rolle spielt dabei auch die Eingangshalle mit Concierge, die sich nach unseren aktuellen Erfahrungen als lebhafter Treffpunkt erweist“, sagt der Architekt. Insgesamt erwartet Schlüter auch in Zukunft eine positive Entwicklung des Wohnhochhauses: „Der Typus wird weiterhin an Popularität hinzugewinnen. In Frankfurt befinden sich mehrere Projekte im Bau, und andere deutsche Städte werden früher oder später nachziehen – wobei Frankfurt durch die inzwischen geliebte Skyline eine deutliche Vorreiterrolle einnimmt“, so Schlüter.
Frankfurt geht voran, und Städte mit weniger markanten Skylines folgen. In der Adenauerallee in Hamburg etwa bauen Störmer Murphy and Partners (Hamburg) einen 55 Meter hohen Turm mit 113 Wohneinheiten auf 17 Geschossen. Im unmittelbaren Kontext finden sich Häuser mit Höhen von bis zu 90 Metern aber auch deutlich niedrigerer Bebauung.
Sich in der Höhe, aber auch in Materialität und Farbigkeit harmonisch in den Bestand einzufügen, war wesentlicher Bestandteil des Entwurfskonzepts. Dass das Wohnhochhaus sich zunehmend eines positiven Ansehens erfreut, sieht Holger Jaedicke von Störmer Murphy and Partners darin begründet, dass es sich „weg vom Image der Sozialbau-Großsiedlungen, hin zum hochwertigen Solitärwohnungsbau in gewachsener, zentraler Innenstadtlage“ entwickle.
Da die Menschen wieder urban leben wollen, sei grundsätzlich die Nachfrage nach diesem Bautypus gestiegen. Förderlich sei auch die Haltung der Politik, die die Attraktivität von Wohnhochhäusern für Entwickler und Investoren steigert – zuvor seien fast ausschließlich Büroflächen realisiert worden. So wird die einst unbeliebte Bautypologie zum adäquaten Element im urbanen Kontext.
Anders als im homogenen Hamburg werden die 130 Meter hohen „Norra Tornen“, die derzeit von OMA (Rotterdam) und Oscar Properties (Stockholm) in Stockholm realisiert werden, deutlich über ihre Umgebung hinausragen. Die Doppeltürme bilden eine Mischung aus Plattenbau und Turm und vereinen damit Elemente beider Typologien, die man laut Architekt:innen normalerweise „möglichst vermeiden möchte“.
Der verschachtelte, sich kaskadenartig entwickelnde Bau, dessen Kubatur den Planern vorgegeben war, vermeidet zu strenge Symmetrien, indem die Planer:innen im Entwurf zusätzliche horizontale Elemente ergänzten. 180 Appartements entstehen im künftigen „Tor zur Stadt“, dessen monumentale Geste durchaus beabsichtigt ist. Ob rau, markant und mit ein wenig Ostblock-Charme oder exklusiv, harmonisch mit eleganter Gestaltung der öffentlichen Bereiche und Außenräume – in jedem Fall wachsen die europäischen Städte derzeit hoch hinaus und zeigen Varianten auf, der Wohnungsnot in Ballungszentren Herr zu werden.
Ein alternativer Trend bringt einen weiteren Typ des Wohnhochhauses hervor: Die 60 Meter hohe „Wildspitze“ von Störmer Murphy and Partners wird komplett in Holzbauweise realisiert. Projekte wie diese vereinen Nachhaltigkeit mit attraktiven Wohnlagen und geben nicht nur den perfekten Ausblick auf die Umgebung – sondern möglicherweise auch auf die Zukunft des Wohnungsbaus.