Jürgen Engel im Interview

Die Suche nach neuen Formen hat uns begeistert

19.06.20

Inter­view: Jasmin Jouhar
(Por­trät­foto Jürgen Engel: Simon Hegen­berg und Jason Sellers)

Jürgen Engel führt eines der großen deut­schen Archi­tek­tur­büros. Mit rund 300 Mit­ar­beiter:innen am Haupt­sitz in Frank­furt und in meh­reren natio­nalen und inter­na­tio­nalen Depen­dancen rea­li­sieren KSP Jürgen Engel Archi­tekten Hoch­häuser in Frank­furt genauso wie eine Moschee in Algier oder die Chi­ne­si­sche Natio­nal­bi­blio­thek in Peking. Doch auch der kleine Maßstab liegt ihm, wie er mit seinem Entwurf für das neue Tür­griff­pro­gramm FSB 1271 beweist. Ein Gespräch über krö­nende Abschlüsse, die Liebe zum Detail und was ihn als Gestalter moti­viert.

Sehr geehrter Herr Engel, eine Tür­klinke zu ent­werfen, ist das ein Archi­tek­ten­t­raum?
Wir ver­folgen bei der Gestal­tung von Städ­tebau über Archi­tektur und Pro­dukt­de­sign bis zum Bran­ding von Unter­nehmen einen ganz­heit­li­chen Anspruch. Dazu gehören auch eine Sen­si­bi­lität für Mate­ria­lien wie beim rohen Sicht­beton des Doku­men­ta­ti­ons­zen­trums in Bergen-Belsen oder die Ästhetik des Inte­ri­eurs für die Ele­ments Studios, aber auch kon­struk­tive Detail­lö­sungen wie die inno­va­tive gefal­tete Decke im Frank­furter Projekt Westend Duo. Das für viele unschein­bare Detail der Tür­klinke stellt aller­dings eines der wich­tigsten Funk­ti­ons­ele­mente in einem Haus dar. Kaum etwas wird häu­figer genutzt und in die Hand genommen. Für uns Archi­tekt:innen ist sie beim Entwurf eines Hauses der krö­nende Abschluss einer ganz­heit­li­chen Gestal­tung.

Was hat Sie an der Gestal­tung einer Tür­klinke gereizt?
Unser hap­ti­sches Gedächtnis ist genauso präsent wie unser Gedächtnis für Gerüche. Wer mit allen Sinnen ein Haus wahr­nimmt, erkennt die Bedeu­tung von Tür- und Fens­ter­griffen. Ob der Gestal­tungs­wille über der Funk­tio­na­lität beim Entwurf stand, spürt man dabei sofort. Beides, die Ästhetik und die Nutzung in Ein­klang zu bringen, ist die Her­aus­for­de­rung, die uns als Gestalter moti­viert. Dazu gehört auch eine ein­heit­liche Aus­stat­tung aller Türen und natür­lich auch der Fenster. Alle haben beson­dere Anfor­de­rungen, die sich in der Gestal­tung und bei der Benut­zung nicht bemerkbar machen sollten.

Das neue Griff­pro­gramm FSB 1271 von Jürgen Engel.
(Foto: FSB)

Wie kam die Zusam­men­ar­beit mit FSB zustande?
Wir setzen seit Jahr­zehnten Pro­dukte von FSB in unseren Pro­jekten ein. Unsere Qua­li­täts­an­sprüche stimmen überein. Daher ist unsere Zusam­men­ar­beit seither von gegen­sei­tiger Wert­schät­zung bestimmt. Der Wunsch, zusammen eine Griff­fa­milie umzu­setzen, bestand schon lange, und wir sind sehr glück­lich darüber, das gemein­same Projekt endlich in Angriff genommen zu haben.

Wie lief die Zusam­men­ar­beit mit FSB?
Für FSB ist die Zusam­men­ar­beit mit Archi­tekt:innen eine Tra­di­tion. Aber auch für uns ist die Pro­dukt­ent­wick­lung mit Her­steller:innen ein wesent­li­cher Teil unseres Auf­ga­ben­spek­trums. Von Anfang an merkten wir, dass auf beiden Seiten eine enorme Erfah­rung im Pro­dukt­de­sign besteht.

Wie viel hat Ihr Entwurf für die FSB 1271 mit Ihren Erfah­rungen aus der täg­li­chen Archi­tek­tur­praxis zu tun?
Unser eigenes Pro­jekt­port­folio mit Hoch­häu­sern, großen Büro­ge­bäuden und For­schungs­ein­rich­tungen, aber auch mit Wohn­häu­sern und Kul­tur­bauten, stellt an ein Bauteil wie die Tür­klinke ganz unter­schied­liche Anfor­de­rungen. Wir stoßen immer wieder auf das Problem, dass favo­ri­sierte Griff­fa­mi­lien nicht allen gestal­te­ri­schen und bau­recht­li­chen Anfor­de­rungen genügen, sodass auf mehrere Pro­dukt­fa­mi­lien zurück­ge­griffen werden muss. Gerade in reprä­sen­ta­tiven Berei­chen von Büro­ge­bäuden sind ästhe­tisch hoch­wer­tige Rah­men­tür­drü­cker gefragt, die Teil einer ein­heit­li­chen Gestal­tung von Türen bis Fens­tern sind. Unser pri­märes Anliegen war es, eine Griff­fa­milie zu ent­werfen, die diesem gestal­te­ri­schen Anspruch gerecht wird.

Was ist die gestal­te­ri­sche Beson­der­heit des Rah­men­tür­drü­ckers inner­halb der Griff­fa­milie?
Wir sind mit einer klaren Vor­stel­lung an den Entwurf her­an­ge­gangen. Die auf alle tech­ni­schen Belange opti­mierte Form von FSB 1271 vereint Prä­zi­sion mit ange­nehmer, kom­for­ta­bler Hand­ha­bung und erlaubt eine ein­heit­liche Gebäu­de­aus­stat­tung mit Tür­drü­cker, Rah­men­tür­drü­cker und Fens­ter­griff in iden­ti­scher Geo­me­trie. Der Rah­men­tür­drü­cker kommt dabei ohne typi­sche Kröp­fung oder wahr­nehm­baren Versatz aus. Hier war der inno­va­tive Geist des gestal­tenden Phi­lo­so­phen Ludwig Witt­gen­stein Anlass, die Ver­kröp­fung als eine leichte Anpas­sung des Über­gangs­ra­dius zwi­schen Tür­drü­ck­er­hals und Hand­habe wei­ter­zu­denken.

Hoch­haus 160 Park View, Frank­furt am Main, 2020.
(Foto: KSP Jürgen Engel Archi­tekten)

Wohn­be­bauung Gleis Park Berlin, 2020.
(Foto: Adrian Schulz)

Große Moschee, Algier
(Foto: KSP Jürgen Engel Archi­tekten)

Ele­ments Fit­ness­stu­dios Hen­ninger Turm, Frank­furt, 2017.
(Foto: Stefan Schil­ling)

Wie tief sind Sie in die Materie ein­ge­stiegen, etwa in Geschichte der Klin­ken­ent­würfe und in den Her­stel­lungs­pro­zess?
Wir haben uns mit Tür­drü­ckern seit der Moderne befasst. Die dama­lige Suche nach neuen Formen hat uns begeis­tert. Als Refe­renz lassen sich am ehesten die Tür­drü­cker von Mies van der Rohe her­an­ziehen, ins­be­son­dere den für das Farns­worth House (1949-51), mit elegant geschwungen, schlanken Formen. Die Reduk­tion der sicht­baren Teile und die Erschei­nung wie aus einem Guss sollten auch für die Serie FSB 1271 maß­geb­lich sein. In der Zusam­men­ar­beit mit FSB haben wir viel über den Her­stel­lungs­pro­zess und die Ober­flä­chen­be­hand­lung lernen können. Wir konnten uns vor Ort selbst davon über­zeugen, wie im ost­west­fä­li­schen Brakel mit beein­dru­ckender hand­werk­li­cher Qua­lität gefer­tigt wird. Das ermög­lichte uns, die Griff­fa­mi­lien von Grund auf neu zu kon­zi­pieren und kon­struktiv eigene Wege zu gehen.

Die Form des Griff­pro­gramms ist in Sachen Res­sour­cen­scho­nung opti­miert. Was bedeutet das genau?
Um den Res­sour­cen­ver­brauch zu mini­mieren, gilt es so wenig Mate­rial wie möglich auf­zu­wenden. Dennoch muss der Tür­drü­cker nicht nur den Normen ent­spre­chen, sondern sich auch für große Hände gut anfühlen. Mit seiner geschwungen-flä­chigen Vor­der­seite und der weich gerun­deten Innen­kontur steht FSB 1271 glei­cher­maßen für Prä­zi­sion und Komfort. Trotz der schlanken Form­ge­bung bleibt das Greif­vo­lumen des Drü­ckers ange­nehm, sodass sich auch groß­for­ma­tige schwere Türen sicher öffnen lassen.

Haben Sie auch schon andere Archi­tek­tur­pro­dukte ent­worfen?
Unser ganz­heit­li­cher Anspruch als Gestalter beginnt beim Städ­tebau und geht bis in Detail­lö­sungen des Inte­ri­eurs.

Die Tür­drü­ck­er­serie FSB 1271 steht damit in einer Reihe mit diversen Leuchten, Möbeln, einer Bade­zim­mer­aus­stat­tung und auch einem Teppich mit zwei Web­mus­tern.

Welcher Maßstab ist Ihnen der liebste – zwi­schen Städ­tebau und Tür­klinke?
Als Archi­tekt, der einen solchen Anspruch for­mu­liert, ist man vor allem neu­gierig darauf, sich immer neuen Gestal­tungs­her­aus­for­de­rungen zu stellen und seine Exper­tise zu erwei­tern. Gerade die Tür­klinke ist tech­nisch wie auch ästhe­tisch eine beson­dere Aufgabe. Die Liebe zur Detail­lö­sung ist aller­dings unab­hängig vom Maßstab. Auch beim Städ­tebau werden von uns im Anfor­de­rungs­rahmen spe­zi­fi­sche Lösungen ent­wi­ckelt, die funk­tional sind, lang­fristig Bestand haben und auch ästhe­tisch hoch­wertig sind.

Büro­haus SAP, Esch­born, 2018.
(Foto: Adrian Schulz)

Ele­ments Fit­ness­stu­dios, Turm­carrée, Frank­furt am Main.
(Foto: Stefan Schil­ling)