Fawad Kazi im Interview

Die Hand lügt nicht

11.01.18

Geschätzte Lese­zeit: 3 Minuten, 40 Sekunden - 11. Januar 2018 | Text: Katha­rina Sommer

Fawad Kazi führt sein Archi­tek­tur­büro in Zürich. Zu seinen wich­tigsten Pro­jekten zählen das LEE-Gebäude der ETH Zürich und das aktuell im Bau befind­liche Kan­tons­spital St. Gallen und Ost­schweizer Kin­der­spital. Eigens für das Spital hat er das neue Griff­pro­gramm FSB 1254 ent­worfen. Dabei doku­men­tierte er alle Zwi­schen­schritte des Form­fin­dungs­pro­zesses als 3D-Modelle in einem Setz­kasten. FSB hat sich den Setz­kasten genauer ange­sehen und mit dem Archi­tekten darüber gespro­chen, warum das Hin­ter­fragen und Weg­lassen wich­tige Bestand­teile des Ent­wer­fens sind und die Hand nicht lügt.

Herr Kazi, Sie sind Archi­tekt und ent­werfen Häuser. Nun sollte es für FSB eine Tür­klinke sein, ein kleines Detail im Gebäude. Worin lag für Sie der Reiz dieser Aufgabe?
Als Vorbild sehe ich die Archi­tekt:innen der Wiener Moderne, welche übli­cher­weise vom Haus bis zum Möbel alles selber ent­warfen. Das war immer auch eine meiner Prä­missen.

Für das Gebäude LEE der ETH Zürich haben wir zum Bei­spiel eigene Leuchten und Möbel ent­wi­ckelt, und auch die Stühle, auf denen wir sitzen, sind Eigen­ent­würfe. Im Zuge unseres aktu­ellen Groß­pro­jekts, dem Kan­tons­spital St. Gallen und dem Ost­schweizer Kin­der­spital, kam daher die Idee auf, auch die Beschläge selber zu gestalten und damit dem Anspruch der Ganz­heit­lich­keit gerecht zu werden.

Der Schweizer Archi­tekt Fawad Kazi hat das neue Griff­pro­gramm FSB 1254 ent­worfen.
(Foto: Fawad Kazi)

Teil des Ent­wurfs­pro­zess sind eine ganze Reihe von 3D-gedruckten Modellen, die Kazi in einer Art Setz­kasten archi­viert hat.
(Foto: Yves Kubli)

Wie sind Sie an diese Aufgabe her­an­ge­gangen?
Der Prozess star­tete mit einem Werks­be­such in Brakel, um zu ver­stehen wie die Pro­duk­ti­ons­ver­fahren ablaufen und wo die Grenzen der Mach­bar­keit liegen. Ich wollte keinen los­ge­lösten Entwurf vor­legen, sondern einen Griff ent­wi­ckeln, der im Ein­klang mit den tech­ni­schen Mög­lich­keiten steht. Gleich­zeitig fand eine Analyse von his­to­ri­schen Griffen statt – und auch von Modellen aus dem FSB-Autor:innen­de­sign.

Die ersten Ent­würfe waren dann rudi­men­täre Knet­mo­delle, die eine unvor­ein­ge­nom­mene Art des Her­an­tas­tens ermög­lichten. Par­allel dazu fer­tigte ich erste Zeich­nungen an, mit welchen ich sehr früh die Idee des betonten Greif­vo­lu­mens kon­kre­ti­sierte. Um den Ent­wurfs­pro­zess weiter zu ver­fei­nern, besorgte ich mir dann einen 3D-Dru­cker.

Wie ent­stand diese sehr frühe Über­zeu­gung, dass das Greif­vo­lumen dicker sein muss?
Meine Analyse der his­to­ri­schen Ent­wick­lung ergab, dass das Greif­vo­lumen bis vor rund hundert Jahren mas­siver und dort, wo der Daumen auf­liegt, schlanker war.

Mit dem Entwurf von Walter Gropius zum Bei­spiel wurde der mas­si­vere hintere Teil schließ­lich auf­ge­löst und es ent­stand ein kon­stanter Griff­quer­schnitt. Später folgte eine Umkehr, wie sie unter anderem der Griff von Max Bill mani­fes­tiert. Dieser ist gegen­über his­to­ri­schen Griffen inver­tiert, also vorne dicker und hinten dünner. Diese Umkehr habe ich hin­ter­fragt. Aus der Analyse und dem Ver­ständnis, was der Griff für die Hand leisten muss, resul­tierte die Idee, das Greif­vo­lumen stärker zu betonen.

Bild 1 von 8: Das neue Griff­pro­gramm FSB 1254 von Fawad Kazi

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Bild 5 von 8: Das Griff­pro­gramm in den 3D-Modellen aus dem Ent­wurfs­pro­zess. (Foto: Yves Kubli)

Bild 6 von 8: (Foto: Yves Kubli)

Bild 7 von 8: (Foto: Yves Kubli)

Bild 8 von 8: (Foto: Yves Kubli)

Sie erstellen meist umfang­reiche Skiz­zen­werke. Für den Griff sind zusätz­lich auch 3D-Modelle ent­standen. Welche Rolle spielen diese für die Form­fin­dung?
In der Archi­tektur inter­es­sieren mich Pro­zesse, die Suche nach der rich­tigen Lösung und somit letzt­lich der rich­tigen Gestal­tung.

Es ist oft ein Suchen und Prä­zi­sieren mit dem Stift. Bei der Grif­fent­wick­lung war es ähnlich, ich brauchte eine Viel­zahl an Zeich­nungen und gedruckter Modelle, um die Jus­tie­rung abzu­schließen. Dieser Prozess bedingt Zeit, Geduld und Akribie. Dieses Her­an­tasten ver­deut­licht der Setz­kasten mit den 3D-Modellen sämt­li­cher Zwi­schen­schritte.

Ich fand es passend, diese Modelle in Werk­zeug­kästen zu archi­vieren. Es ent­stand so quasi ein Projekt im Projekt. Rück­bli­ckend ist es sehr inter­es­sant für mich, Kreuz­ver­weise zwi­schen den ein­zelnen Modellen her­stellen und so den eigenen Fin­dungs­pro­zess deuten zu können.

Bereits fertig: der Pavillon von Fawad Kazi für das Kan­tons­spital St. Gallen.
(Foto: Georg Aerni)

Wurden die Tür­klinken spe­ziell für das Kan­tons­spital St. Gallen und das Ost­schweizer Kin­der­spital ent­wi­ckelt?
Die Idee war, einen uni­ver­sellen Griff zu ent­werfen. Zu Beginn war die Form eher komplex und opulent und ich erkannte, dass der Griff einfach und zurück­hal­tend gestaltet sein muss, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Den Griff redu­zierte ich dann suk­zes­sive, von acht über sechs auf vier Ecken im Quer­schnitt.

Diese Reduk­tion wurde zum einen durch die Fer­ti­gung, ins­be­son­dere das Schleifen des Griffes, bestimmt. Par­allel dazu ent­wi­ckelte sich auch die Gestal­tungs­idee anhand der Modelle und Zeich­nungen in diese Rich­tung. Am Schluss führten Öko­nomie, Pro­duk­tion, Gestal­tung und Ergo­nomie zu einem Punkt zusammen.

Der Griff strahlt in meinen Augen etwas sehr Selbst­ver­ständ­li­ches aus. Gab es nicht die Ver­su­chung, sich gestal­te­risch aus­zu­toben?

Die Ver­su­chung ist natür­lich groß, diesen Form­ge­danken sehr weit zu treiben. Man erkennt aber schnell, dass dies nicht fruchtet. Die gut funk­tio­nie­renden Griffe sind eher unscheinbar. Griffe mit extra­va­gan­teren Formen sind dagegen oft schwer zu greifen. Form­wille und Ergo­nomie kommen da nicht zwin­gend zusammen. Das Schöne beim Griff ist doch, dass sich die Hand im Gegen­satz zum Auge nicht täu­schen lässt, es passt oder passt nicht. Meine Haupt­mo­ti­va­tion war es, beide Aspekte, die Gestal­tung und die Ergo­nomie, zusam­men­zu­bringen.

Der Pavillon für das Kan­tons­spital St. Gallen
(Foto: Georg Aerni)

"Der Griff ist einer der Gegen­stände in der Archi­tektur, den man noch in die Hand nimmt. Vieles in einem Gebäude wird hin­gegen nur optisch wahr­ge­nommen, nicht aber hap­tisch. Der Griff ist daher, wie auch ein Stuhl, eine wich­tige Schnitt­stelle zwi­schen Körper und Bauwerk und mich inter­es­siert, wie man damit umgeht."