Fawad Kazi im Interview
Die Hand lügt nicht
Fawad Kazi führt sein Architekturbüro in Zürich. Zu seinen wichtigsten Projekten zählen das LEE-Gebäude der ETH Zürich und das aktuell im Bau befindliche Kantonsspital St. Gallen und Ostschweizer Kinderspital. Eigens für das Spital hat er das neue Griffprogramm FSB 1254 entworfen. Dabei dokumentierte er alle Zwischenschritte des Formfindungsprozesses als 3D-Modelle in einem Setzkasten. FSB hat sich den Setzkasten genauer angesehen und mit dem Architekten darüber gesprochen, warum das Hinterfragen und Weglassen wichtige Bestandteile des Entwerfens sind und die Hand nicht lügt.
Herr Kazi, Sie sind Architekt und entwerfen Häuser. Nun sollte es für FSB eine Türklinke sein, ein kleines Detail im Gebäude. Worin lag für Sie der Reiz dieser Aufgabe?
Als Vorbild sehe ich die Architekt:innen der Wiener Moderne, welche üblicherweise vom Haus bis zum Möbel alles selber entwarfen. Das war immer auch eine meiner Prämissen.
Für das Gebäude LEE der ETH Zürich haben wir zum Beispiel eigene Leuchten und Möbel entwickelt, und auch die Stühle, auf denen wir sitzen, sind Eigenentwürfe. Im Zuge unseres aktuellen Großprojekts, dem Kantonsspital St. Gallen und dem Ostschweizer Kinderspital, kam daher die Idee auf, auch die Beschläge selber zu gestalten und damit dem Anspruch der Ganzheitlichkeit gerecht zu werden.
Wie sind Sie an diese Aufgabe herangegangen?
Der Prozess startete mit einem Werksbesuch in Brakel, um zu verstehen wie die Produktionsverfahren ablaufen und wo die Grenzen der Machbarkeit liegen. Ich wollte keinen losgelösten Entwurf vorlegen, sondern einen Griff entwickeln, der im Einklang mit den technischen Möglichkeiten steht. Gleichzeitig fand eine Analyse von historischen Griffen statt – und auch von Modellen aus dem FSB-Autor:innendesign.
Die ersten Entwürfe waren dann rudimentäre Knetmodelle, die eine unvoreingenommene Art des Herantastens ermöglichten. Parallel dazu fertigte ich erste Zeichnungen an, mit welchen ich sehr früh die Idee des betonten Greifvolumens konkretisierte. Um den Entwurfsprozess weiter zu verfeinern, besorgte ich mir dann einen 3D-Drucker.
Wie entstand diese sehr frühe Überzeugung, dass das Greifvolumen dicker sein muss?
Meine Analyse der historischen Entwicklung ergab, dass das Greifvolumen bis vor rund hundert Jahren massiver und dort, wo der Daumen aufliegt, schlanker war.
Mit dem Entwurf von Walter Gropius zum Beispiel wurde der massivere hintere Teil schließlich aufgelöst und es entstand ein konstanter Griffquerschnitt. Später folgte eine Umkehr, wie sie unter anderem der Griff von Max Bill manifestiert. Dieser ist gegenüber historischen Griffen invertiert, also vorne dicker und hinten dünner. Diese Umkehr habe ich hinterfragt. Aus der Analyse und dem Verständnis, was der Griff für die Hand leisten muss, resultierte die Idee, das Greifvolumen stärker zu betonen.
Sie erstellen meist umfangreiche Skizzenwerke. Für den Griff sind zusätzlich auch 3D-Modelle entstanden. Welche Rolle spielen diese für die Formfindung?
In der Architektur interessieren mich Prozesse, die Suche nach der richtigen Lösung und somit letztlich der richtigen Gestaltung.
Es ist oft ein Suchen und Präzisieren mit dem Stift. Bei der Griffentwicklung war es ähnlich, ich brauchte eine Vielzahl an Zeichnungen und gedruckter Modelle, um die Justierung abzuschließen. Dieser Prozess bedingt Zeit, Geduld und Akribie. Dieses Herantasten verdeutlicht der Setzkasten mit den 3D-Modellen sämtlicher Zwischenschritte.
Ich fand es passend, diese Modelle in Werkzeugkästen zu archivieren. Es entstand so quasi ein Projekt im Projekt. Rückblickend ist es sehr interessant für mich, Kreuzverweise zwischen den einzelnen Modellen herstellen und so den eigenen Findungsprozess deuten zu können.
Wurden die Türklinken speziell für das Kantonsspital St. Gallen und das Ostschweizer Kinderspital entwickelt?
Die Idee war, einen universellen Griff zu entwerfen. Zu Beginn war die Form eher komplex und opulent und ich erkannte, dass der Griff einfach und zurückhaltend gestaltet sein muss, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Den Griff reduzierte ich dann sukzessive, von acht über sechs auf vier Ecken im Querschnitt.
Diese Reduktion wurde zum einen durch die Fertigung, insbesondere das Schleifen des Griffes, bestimmt. Parallel dazu entwickelte sich auch die Gestaltungsidee anhand der Modelle und Zeichnungen in diese Richtung. Am Schluss führten Ökonomie, Produktion, Gestaltung und Ergonomie zu einem Punkt zusammen.
Der Griff strahlt in meinen Augen etwas sehr Selbstverständliches aus. Gab es nicht die Versuchung, sich gestalterisch auszutoben?
Die Versuchung ist natürlich groß, diesen Formgedanken sehr weit zu treiben. Man erkennt aber schnell, dass dies nicht fruchtet. Die gut funktionierenden Griffe sind eher unscheinbar. Griffe mit extravaganteren Formen sind dagegen oft schwer zu greifen. Formwille und Ergonomie kommen da nicht zwingend zusammen. Das Schöne beim Griff ist doch, dass sich die Hand im Gegensatz zum Auge nicht täuschen lässt, es passt oder passt nicht. Meine Hauptmotivation war es, beide Aspekte, die Gestaltung und die Ergonomie, zusammenzubringen.
"Der Griff ist einer der Gegenstände in der Architektur, den man noch in die Hand nimmt. Vieles in einem Gebäude wird hingegen nur optisch wahrgenommen, nicht aber haptisch. Der Griff ist daher, wie auch ein Stuhl, eine wichtige Schnittstelle zwischen Körper und Bauwerk und mich interessiert, wie man damit umgeht."